Libanon - Leben im Vakuum?
"Ist es "sicher" genug, um in den Libanon zu reisen bzw. sich dort für
längere Zeit aufzuhalten?" Auf diese Frage läßt sich nur schwer eine
Antwort finden, schon allein deswegen, da das Wort Sicherheit dafür nicht
genügend definiert ist. Die momentane Lage ist angespannt, aber keineswegs
gefährlich. Wir stehen hier auch nicht kurz vor dem zweiten Bürgerkrieg,
so wie es die dt. Botschaft suggeriert. Viele politische Dinge sind seit dem
Tod des Premierminister Rafik Hariri im Umschwung. Für jedes Land birgt
eine solche Phase ein gewißes Maß an Risiko, aber auch Chancen zur
positiven Neuordnung. Und an dieser Kante stehen die Menschen und die
Politker gerade. Richtungsfindung, Interessenaustausch, aber auch -abgleich,
Macht durch Kapitalismus und Religion, Hoffnung auf Demokratie.
All diese Faktoren beherrschen die momentane Lage und nun kommt es darauf
an, welchen wieviel Bedeutung zugemessen wird.
Unsicher wird die Lage dadurch, dass durch den Sturz der alten Regierung,
der auf den Tod Hariris folgte, der feste politische Boden zerbrochen ist,
auf dem das machtorienteirte Strukturkonzept für den Libanon aufgebaut war.
Die Opposition, die sich gegen die alte elitäre Regierung richtet, zieht
sich durch alle religiösen und politischen Schichten. Alle sind sie
gemeinsam gegen das Alte. Unter diesem Gesichtspunkt vereinen sich viele
verschiedene politische und religiöse Richtungen. Doch so positiv man das
auch deuten möchte, die gemeinsame Zukunftsplanung wird dadurch umso
schwieriger. Denn bisher sind sich alle einig in Bezug auf das, was sie
NICHT wollen. Doch alle unterschiedlichen Interessen und Meinungen,
politisch wie religiös, unter einen Hut zu bekommen, um eine neue Regierung
(sform) und eine neue Gesellschaftstruktur zu entwickeln, scheint fast
unmöglich.
Und dann 3 Autobomben innerhalb einer Woche. Alle in chrisltichen Viertel in
Beirut. Von der dritten erfuhr ich morgens um 6.30 Uhr im
Osternachtsgottesdienst. Ich saß regunglos in der Kirchenbank. Na dann:
Frohe Ostern.
Zunächst konnte ich die beiden Ereignisse, den Bombenanschlag und Ostern,
nicht zusammnbringen, doch die Predigt von Pfr. Weltzien im 11 Uhr
Gottedienst brachte es ziemlich auf den Punkt:
Ostern - das Fest der Auferstehung. Im Grund mit folgender Botschaft: Jesus
hat den Tod besiegt und möchte uns die Furcht davor nehmen, dass dies nicht
das Ende ist. Ein dickes, klares JA zum Leben - inklusive Betriebsanleitung.
Viele Menschen haben es leider geschafft, diese Botschaft gründlich
mißzuverstehen. Man denke an all die Märtyrertode "im Namen Gottes". Suizid
als Weg zu Gott. Tod als Druckmittel und Angstkatalysator. Alles
ideologischer Mist, doch leider gelebte (gefährliche) Realität.
Jesu Auferstehung. Einerseits dreht es sich um das Thema Tod, um Seinen Tod,
doch der Schwerpunkt liegt eindeutig im Leben! Ostern ist, vor allem jetzt
und hier in Beirut: ein Aufruf zum Leben und gegen Gewalt.
Die resultierende Handlung der evangelischen Gemeinde war eine für den
Frieden. Wir sind am gleichen Abend mit allen, die mochten, zum Ort des
Anschlages gefahren und haben schweigend eine Kerze und eine Rose, das
allgemeine Symbol für den Frieden, niedergelegt. Wir wollten ein Zeichen
setzen. Ein Zeichen für den Frieden. Wer auch immer diese Anschläge
getätigt hat, er darf sein Ziele, die Bevölkerung in Angst zu versetzen,
die Wirtschaft zu schwächen und vor allen Dingen, den poltischen Konflikt
auf die religiöse Ebene zu übertragen, nicht erreichen. Bis jetzt hat noch
kein Vergeltungsschlag stattgefunden: ein gutes Zeichen.
Doch die alten Wunden, die durch solche Anschläge aufgerissen werden, sind
tief. Jeden Dienstag nach einem solchen Anschlag konnte man es den Frauen im
Frauentreff ansehen. Die meisten hatten schlecht oder gar nicht geschlafen.
Erinnerungen an den zermürbenden Bürgerkrieg von 1974-1989 kamen wieder
hoch. Dies waren leise Dienstage in der Gemeinde. Im Hintergrund liefen im
Fernsehn stumm die neusten Nachrichten. Allein die Bilder und die
durchlaufenden Newsticker reichten aus.
Das sind Momente in denen ich merke, wie wichtig es ist hier zu sein und
durch die momentane Lage nicht handlunsunfähig zu werden. Das Vogel-Strauß
Prinzip bringt in solchen Situationen nichts. Deshalb bin ich auch noch
nicht nach Hause geflogen. Eine konkrete Möglickeit in diesem Land etwas
politisch zu verändern habe ich nicht. Das wäre auch eine Stufe zu hoch
gedacht. Doch allein, dass ich diese Situation hier erlebe, die Kultur und
Gesellschaft plus die dazugehörenden Menschen und ihre Schicksale kennen
lerne, biete eine große Chance. Die Chance, anderen Menschen wie euch, von
meinen Erlebnissen zu berichten, andere, viel persönlichere Informationen
zu geben, als die Nachrichtensender es tun und können und somit ein Stück
zur Aufklärung beizutragen. Zumal wir auf die Jugend bauen müssen, wollen
wir die Zukunft sichern. Und im Zeitalter der Globalisierung wird es immer
wichtiger, immer mehr Länder und Kulturen kennen zu lernen. Das fängt im
eigenen Land (Deutschland) schon an: es wird immer multikultureller. Und wie
schnell werden Vorurteile gefaßt. Jungen Menschen sollten wir die
Möglichkeit bieten, durch Auslandsaufenthalte, Dikussionsforen, Jugentreffs
etc. Menschen aus anderen Kulturen und mit anderen Religionen kennen und
verstehen zu lernen.
Mut tut gut.
In diesem Sinne liebe Grüße,
MD